Dieser Artikel ist Teil der Broschüre „Der Krieg beginnt hier – Kämpfen wir dagegen!“. DIe ganze Broschüre findet ihr hier.
Ukraine, Palästina, Sudan, Myanmar – überall auf der Welt ist Krieg. Deutschland rüstet im Rekordtempo auf und ein neuer Weltkrieg scheint nach über 30 Jahren Ende des Kalten Krieges so nah wie nie. Widerstand dagegen scheint geradezu zu unsichtbar.
Antimilitaristische Proteste mit hunderttausenden Teilnehmer:innen wie man sie vielleicht aus Erzählung in der Familie oder dem Geschichtsunterricht kennt gibt es nirgendwo. Warum ist das so und was können wir von vergangenen Widerständen gegen Krieg für einen neue antimilitaristische Bewegung lernen?
68er, Vietnam und Antikriegsbewegung
Weltweit und auch in Deutschland gibt es eine lange Geschichte von verschiedensten Widerstandsbewegungen gegen Kriege. Um die politische Situation, in der wir uns bewegen wollen, zu verstehen, werfen wir einen Blick in die Geschichte der BRD.
Eine der sowohl bekanntesten als auch bedeutendsten Antikriegsbewegungen in Deutschland war die gegen den Vietnamkrieg. Ende 60er- und Anfang der 70er-Jahre schien sie eine ganze Generation zu erfassen. Wichtige Organisationen für den Widerstand gegen den Vietnamkrieg war der Sozialistische Deutsche Studentenbund. Dieser führte 1968 einen großen Vietnamkongress im Auditorium Maximum der Technischen Universität Berlin durch, der mit der bis dahin größten Demonstration gegen diesen Krieg abgeschlossen wurde.
Mit der Bewegung nahm die Kriegsdienstverweigerung in Westdeutschland enorm zu. 1968 verweigerten viermal so viele Soldaten wie 1967 und bis 1972 verdreifachte sich diese Zahl nochmals. Manche Soldaten verweigerten Befehlen zu befolgen oder verbrannten öffentlich ihre Wehrpässe und Uniformen. Politisch begründete die Bewegung ihren Widerstand nicht mehr pazifistisch, sondern mit klaren politischen Analysen, was zu einer Besonderheit der Bewegung wurde.
Friedensbewegung der 80er- bis 00er-Jahre
Aus der Bewegung gegen den Vietnamkrieg entwickelt sich die Friedensbewegung. Der größte Höhepunkt antimilitaristischen Widerstands waren die Proteste gegen den NATO-Doppelbeschluss und atomare Hochrüstung Ende der 70er- und Anfang der 80er-Jahre.
Der Doppelbeschluss sah die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen und Marschflugkörper unter anderen in Deutschland vor. Sorgen machte auch, dass in den USA öffentlich Pläne diskutiert wurden, laut denen sowjetischen Kommandozentralen bei einem Atomkrieg durch einen Überraschungsangriff zerstört und sowjetische Vergeltungsschläge so auf Europa begrenzt werden sollten. Über vier Millionen Menschen unterzeichneten 1980–1983, mitten im Kalten Krieg, den Krefelder Appell gegen die Stationierung von Atomwaffen in Europa. Die Friedensbewegung war politisch diverser als diejenige gegen den Vietnamkrieg: von Sozialist:innen, über Christ:innen, Gewerkschaftler:innen und Politiker:innen waren alle möglichen Personengruppen vertreten. Das machte die Bewegung anschlussfähiger, verhinderte aber, dass eine Einheit über grobe Ziele hinaus entstand und eine zielorientierte Arbeit durchgeführt wurde.
Die Proteste waren dennoch durchaus beeindruckend. Allein die Ostermärsche mobilisierten regelmäßig Hunderttausende in der BRD. Man entwickelte vielfältige Aktionen, die großen Rückhalt in der Bevölkerung fanden, zum Beispiel Sitzblockaden, Kampagnen gegen Rüstungsexporte und Menschenketten. Von 1983 bis 1993 fanden in Reckershausen Frauenwiderstandscamps gegen die Stationierung, sowie gegen die Verknüpfung von Militarismus und Patriarchat statt. Von diesen Camps gingen vielfältige Protestaktionen aus. Bekannt wurden die Proteste des Raketen Depots auf der Mutlanger Heide. In dem kleinen Ort mit etwa 5500 Einwohnern gab es jahrelang Widerstand.
Bekannt wurde dabei unter anderem die „Seniorenblockade“, wo 600 Senior:innen mehrere Tage lang die Militärbasis blockierten. 1983 versuchten hunderttausende Menschen, den deutschen Bundestag in Bonn zu blockieren. Dennoch stimmte der Bundestag zahlreichen Raketenstationierungen zu.
2003 agierte die Friedensbewegung in vorher nicht dagewesenem Ausmaß global. Auf der ganzen Welt fanden Demonstrationen gegen den mit offensichtlichen Lügen begründeten Irakkrieg der USA und ihrer Verbündeten statt. 2003 demonstrierten weltweit über zehn Millionen Menschen gegen den Irakkrieg, die meisten davon in Europa. Allein in Berlin gingen etwa 500.000 Menschen auf die Straße.
Organisiert wurden die Proteste von einem Bündnis aus verschiedenen Friedensgruppen, Antiglobalisierungsbewegung und Atomkraftgegnern. Der Widerstand gegen den Irakkrieg baute auf Erfahrungen aus der US-Friedensbewegung, der Friedensbewegung der BRD und der Anti-AKW-Bewegung auf. Damit hatte sich der Trend der Friedensbewegung der 80er und 90er fortgesetzt, nun fehlten aber auch diverse kommunistische Gruppen, die in den 90ern zerbrochen waren und früher wenigstens ein gewisses Maß an politischer Klarheit und Strategie in die Bewegung gebracht hatten.
Antikriegsbewegung heute
Die Situation heute mag dagegen etwas deprimierend wirken. Denn selbst diese historischen Bewegungen, die deutlich größer waren als alles, was wir jetzt auf den Straßen Deutschlands sehen, haben es trotz einiger Erfolge nicht geschafft, die jeweiligen Kriege eigenständig zu beenden.
Allerdings sind auch heute wieder Menschen auf den Straßen, wenn auch weniger als damals. Seit Oktober 2023 nach dem (erneuten) Ausbruch von Israels genozidalen Krieg gegen die Palästinenser:innen im Gazastreifen gibt es neuen weltweiten Widerstand gegen den Krieg – mit vielfältigen Protestformen, Demonstrationen, Sitzblockaden, Unibesetzungen und Protestcamps. Anders als bei den vorher genannten Beispielen gibt es jedoch kaum Verbindungen zu den vorhergegangenen Friedensbewegungen. Diese ist in unzählige Kleinstgruppen zerfasert, teils von Faschist:innen unterwandert, schlicht überaltert und hat es nicht geschafft eine neue Generation an Aktivist:innen heran zu ziehen.
Alle die heute gegen Krieg aktiv werden wollen, haben eine besondere Chance, die Erfolge und Fehler von vergangen Widerständen gegen Kriege auszuwerten, um eine neue Bewegung aufzubauen. Die Geschichte hält nämlich durchaus Beispiele parat, in welchen es gelungen ist, Kriege zu beenden: Zum Beispiel die Oktoberrevolution in Russland. An all diese Lehren können wir heute anknüpfen – es ist an der Zeit!